Anspruch auf Weiterbeschäftigung nach der Kündigung
Solange ein Arbeitsverhältnis besteht, kann jeder Arbeitnehmer verlangen, vom Arbeitgeber auch tatsächlich beschäftigt zu werden.
Spricht der Arbeitgeber eine ordentliche Kündigung aus, ist das Arbeitsverhältnis mit Ablauf der Kündigungsfrist faktisch beendet. Ob die Kündigung rechtswirksam war, steht erst am Ende des gerichtlichen Kündigungsschutzverfahrens fest. Tatsächlich beschäftigt wird der Arbeitnehmer bis dahin häufig nicht mehr.
Bei einer außerordentlichen fristlosen Kündigung tritt die faktische Beendigung bereits mit Zugang des Kündigungsschreibens ein.
Sobald rechtskräftig feststeht, dass die Kündigung unwirksam war, entsteht erneut ein Anspruch auf Beschäftigung, entsprechend den bisherigen Bedingungen.
Schwierig wird es für den Arbeitnehmer, wenn das Arbeitsgericht erst weit nach Ablauf der Kündigungsfrist über seine Kündigungsschutzklage entscheidet. Nicht anders ist es, wenn der Arbeitnehmer in erster Instanz erfolgreich war, und der Arbeitgeber sogleich Berufung zum Landesarbeitsgericht eingelegt hat.
Wer in der Zwischenzeit nicht in der Luft hängen will, ohne Arbeitsentgelt, kann versuchen, eine vorläufige Weiterbeschäftigung durchzusetzen.
1) Gesetzlicher Weiterbeschäftigungsanspruch
Wenn in dem Betrieb ein Betriebsrat besteht, muss der Arbeitgeber ihn anhören, bevor er die Kündigung ausspricht (§ 102 Abs. 1 Satz 1 BetrVG).
Er muss dem Betriebsrat die Gründe für die Kündigung mitteilen und ihm Gelegenheit geben, Bedenken zu äußern oder zu widersprechen.
Bei einer ordentlichen Kündigung hat der Betriebsrat hierfür eine Woche Bedenkzeit, bei einer außerordentlichen fristlosen Kündigung nur drei Tage.
Äußert der Betriebsrat lediglich Bedenken, bleibt dies rechtlich folgenlos, der Arbeitgeber kann die Bedenken aufgreifen, muss es aber nicht.
Anders sieht es aus, wenn der Betriebsrat der Kündigung aus bestimmten, im Gesetz genannten Gründen widerspricht, zum Beispiel wegen fehlerhafter Sozialauswahl, oder weil er eine Weiterbeschäftigung auf einem anderen freien Arbeitsplatz für möglich hält, im selben Betrieb oder in einem anderen Betrieb des Unternehmens.
Hat der Betriebsrat den Widerspruch fristgerecht erhoben, also innerhalb der laufenden Anhörungsfrist, kann der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber verlangen, ihn auch nach Ablauf der Kündigungsfrist weiter zu beschäftigen, zu unveränderten Arbeitsbedingungen, also mit der bisherigen Tätigkeit, bei gleicher Vergütung.
Grundlage dieses gesetzlichen Weiterbeschäftigungsanspruchs ist § 102 Abs. 5 Satz 1 BetrVG, dort sind die Voraussetzungen genannt, die erfüllt sein müssen:
- Es muss sich um eine ordentliche Kündigung handeln, bei einer außerordentlichen besteht der gesetzliche Weiterbeschäftigungsanspruch in der Regel nicht.
- Der Betriebsrat muss fristgerecht, also innerhalb der für ordentliche Kündigungen geltenden Anhörungsfrist von einer Woche widersprechen.
- Der Widerspruch muss schriftlich erfolgen, und er muss Tatsachen benennen, die zu den in § 102 Abs. 3 BetrVG genannten Gründen passen. Ob er begründet ist, also z. B. die Sozialauswahl tatsächlich fehlerhaft war, spielt für die Weiterbeschäftigung zunächst keine Rolle.
- Der Arbeitnehmer muss beim Arbeitsgericht fristgerecht Kündigungsschutzklage erheben (§ 4 Satz 1 KSchG).
- Er muss in dieser Klage ausdrücklich vorbringen, die Kündigung sei nicht nur rechtsunwirksam, sondern "sozial ungerechtfertigt".
- Er muss vom Arbeitgeber verlangen, ihn nach Ablauf der Kündigungsfrist und bis zum rechtskräftigen Abschluss des Prozesses weiter zu beschäftigen.
Letzteres sollte der Arbeitnehmer so früh wie möglich verlangen, spätestens am ersten Arbeitstag nach Ablauf der Kündigungsfrist.
Diese Aufforderung an den Arbeitgeber könnte wie folgt formuliert werden:
"An die (...)-GmbH
z. Hd. der Geschäftsführung/Personalleitung, Frau/Herrn (...)
Sehr geehrte/r Frau/Herr (...),
unter Bezugnahme auf den vom Betriebsrat in seiner Stellungnahme vom (...) gegen die Kündigung vom (...) erhobenen Widerspruch mache ich gemäß § 102 Abs. 5 BetrVG meinen Anspruch auf vorläufige Weiterbeschäftigung zu vertragsgemäßen Bedingungen bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens (Az. ...) geltend."
Mehr ist zunächst nicht erforderlich, der Arbeitnehmer kann abwarten, ob er vom Arbeitgeber zur Arbeit aufgefordert wird.
Lehnt der Arbeitgeber ab oder äußert er sich überhaupt nicht, kann im Kündigungsschutzverfahren ein Weiterbeschäftigungsantrag gestellt werden.
Sofern die eigene Berufsbezeichnung bzw. die zu erbringende Tätigkeit feststehen, könnte der Klageantrag wie folgt formuliert werden:
"1. (Kündigungsschutzantrag)
2. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens in der (z. B. Filiale xy) als (...) weiter zu beschäftigen."
Wenn das Berufsbild nicht eindeutig ist, kann auf frühere Tätigkeitsbeschreibungen verwiesen werden, die z. B. einem Arbeitsvertrag beigefügt waren:
"1. (Kündigungsschutzantrag)
2. (...) den Kläger in der (...) als (...) mit Tätigkeiten gemäß der Tätigkeitsbeschreibung vom (Datum) weiter zu beschäftigen."
Der Weiterbeschäftigungsanspruch lässt sich auch in einem eigenständigen Klageverfahren durchsetzen, oder in einem Eilverfahren, in dem der Erlass einer einstweiligen Verfügung beantragt wird, etwa weil der Arbeitnehmer befürchtet, durch eine längere Zwangspause seine fachliche Qualifikation zu verlieren.
Aus Sicht des Arbeitnehmers hat dieser gesetzliche Weiterbeschäftigungsanspruch zwei Vorteile: er sichert die vertragsgemäße Vergütung, und er besteht unabhängig davon, ob die Kündigung wirksam ist oder nicht, also selbst dann, wenn das Arbeitsgericht seine Kündigungsschutzklage in erster Instanz abgewiesen hat.
Der Weiterbeschäftigungsanspruch hat allerdings auch Einschränkungen, die sich aus seinen gesetzlichen Voraussetzungen ergeben:
Er besteht nicht bei einer außerordentlichen Kündigung, selbst dann nicht, wenn diese mit einer vorsorglichen ordentlichen Kündigung verbunden ist.
Bei einer Änderungskündigung kann ein Anspruch auf Weiterbeschäftigung zu unveränderten Bedingungen naturgemäß nicht bestehen, wenn der Arbeitnehmer das unterbreitete Änderungsangebot angenommen hat, und sei es unter dem Vorbehalt, dass die Änderung nicht sozial ungerechtfertigt ist (§ 2 KSchG).
Anders ist es, wenn der Arbeitgeber die Änderung bis auf weiteres nicht umsetzen kann, etwa weil mit ihr eine Versetzung oder andere personelle Einzelmaßnahme verbunden ist und der Betriebsrat die hierfür erforderliche ausdrückliche Zustimmung bisher nicht erteilt hat (§ 99 BetrVG).
2) Allgemeiner Weiterbeschäftigungsanspruch
Wenn kein Betriebsrat existiert oder er der Kündigung nicht widerspricht, kann es keinen gesetzlichen Weiterbeschäftigungsanspruch nach § 102 BetrVG geben.
Es besteht aber auch ein allgemeiner Weiterbeschäftigungsanspruch, außerhalb des Gesetzes, der vom Bundesarbeitsgericht "erfunden" wurde (BAG, 27.02.1985, GS 1/84).
Er hilft auch bei einer außerordentlichen fristlosen Kündigung, oder bei einem Streit über die Wirksamkeit einer Befristung oder eines Aufhebungsvertrages.
Bei ihm muss der Arbeitnehmer allerdings zunächst eine Hürde überwinden, die es beim gesetzlichen Weiterbeschäftigungsanspruch nicht gibt: er muss mit einem Teil seiner Klage in erster Instanz erfolgreich gewesen sein, das Arbeitsgericht muss entschieden haben, dass das Arbeitsverhältnis fortbesteht.
Deshalb sollte der Klageantrag, der sich auf die Weiterbeschäftigung bezieht, nur für den Fall gestellt werden, dass der andere Antrag erfolgreich ist:
"1. (Kündigungsschutzantrag, Entfristungsantrag usw.)
2. Die Beklagte wird für den Fall des Obsiegens mit dem Antrag zu 1. (z. B. Kündigungsschutzantrag) verurteilt, den Kläger in der (z. B. Filiale xy) als (...) bis zum rechtskräftigen Abschluss des (z. B. Kündigungsschutzverfahrens) weiter zu beschäftigen."
[Achtung: Die vorstehenden Muster und Formulierungen sind nur Beispiele, sie ersetzen nicht das eigene Nachdenken und müssen auf den konkreten Fall angepasst werden!]
3) Konsequenzen der Weiterbeschäftigung
Selbst wenn der Arbeitnehmer mit seinem Weiterbeschäftigungsantrag bei Gericht erfolgreich war, ist er nicht verpflichtet, von sich aus zur Arbeit zu erscheinen.
Er könnte zunächst zu Hause bleiben und abwarten, und hätte trotzdem Anspruch auf seine vertragsgemäße Vergütung, bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens.
Verbindlich wird es für ihn erst, wenn er auf der Grundlage des vom Gericht bestätigten Weiterbeschäftigungsanspruchs an seinen Arbeitsplatz zurückkehrt. Er könnte es sich jetzt nicht einfach wieder anders überlegen und am nächsten Tag nicht mehr kommen, sondern müsste zunächst selbst eine Kündigung aussprechen.
Gleiches gilt, wenn der Arbeitgeber an ihn herantritt und ihn zur Arbeit auffordert, unter Verweis auf die vorläufige Weiterbeschäftigungspflicht. Einer solcher Aufforderung sollte der Arbeitnehmer in jedem Fall nachkommen, weil er sonst riskiert, wegen Arbeitsverweigerung gekündigt zu werden, womöglich fristlos.
Während des Weiterbeschäftigungsverhältnisses bestehen die bisherigen Rechte und Pflichten fort, auf beiden Seiten. Der Arbeitgeber kann weiterhin sein Direktionsrecht ausüben, also "Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung" einseitig festlegen (§ 106 GewO). Er könnte eine Freistellung oder Versetzung vornehmen, sofern die Voraussetzungen dafür vorliegen, und er wäre selbstverständlich weiterhin berechtigt, arbeitgeberseitige Kündigungen auszusprechen.
Ob der Arbeitnehmer in dieser Zeit neben der bisherigen Vergütung auch Urlaubsentgelt und Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall beanspruchen kann, hängt insbesondere beim allgemeinen Weiterbeschäftigungsanspruch davon ab, ob die Weiterbeschäftigung nur zur Abwendung der Zwangsvollstreckung erfolgt oder einvernehmlich ausgestaltet wird, etwa in Form eines befristeten Prozessarbeitsverhältnisses (letzteres sollte immer schriftlich geschehen, § 14 Abs. 4 TzBfG).
[Achtung: Die Durchsetzung und Ausgestaltung der Weiterbeschäftigung ist rechtlich anspruchsvoll, ebenso ihre Rückabwicklung, sofern das Arbeitsverhältnis letztendlich doch nicht fortgesetzt wird. Deshalb sollten sich beide Seiten rechtzeitig anwaltlich beraten lassen!]
Rechtsanwalt Lars Finke, LL.M., Fachanwalt für Arbeitsrecht, Mülheimer Str. 85, 47058 Duisburg (Stadtteil Duissern)