Krankheit im Arbeitsverhältnis
Durch den Arbeitsvertrag wird der Arbeitnehmer zur Leistung der vereinbarten Tätigkeit und der Arbeitgeber zur Gewährung der vereinbarten Vergütung verpflichtet (§ 611 BGB). Dieses Austauschverhältnis ist empfindlich gestört, sobald ein Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung aufgrund einer Erkrankung nicht mehr erbringen kann.
Deshalb hat der Gesetzgeber an eine solche Erkrankung eine ganze Reihe von Pflichten geknüpft, aber auch einige Ansprüche.
1) Pflicht zur Mitteilung
Sobald ein Arbeitnehmer das Gefühl hat, nicht arbeiten zu können, muss er es unverzüglich mitteilen (§ 5 Entgeltfortzahlungsgesetz), am ersten Tag, in den ersten Betriebsstunden, noch vor einem etwaigen Arztbesuch. Beginnt die Arbeitsunfähigkeit an einem arbeitsfreien Tag, z. B. bei Teilzeitarbeit, und ist absehbar, dass er auch am nächsten Arbeitstag nicht wird arbeiten können, darf er nicht bis dahin warten, sondern muss den Arbeitgeber an diesem arbeitsfreien Tag informieren.
Mitzuteilen sind die Arbeitsunfähigkeit als solche und ihre voraussichtliche Dauer, nicht aber die Art der Erkrankung. Eine besondere Form ist für die Mitteilung nicht vorgeschrieben, sie kann mündlich, telefonisch oder schriftlich per E-Mail usw. erfolgen, auch durch einen Familienangehörigen oder einen sonstigen Dritten.
Wichtig ist, dass die Mitteilung den erreicht, der auf sie angewiesen ist, um die Arbeit anders verteilen zu können, also den Arbeitgeber selbst, die Personalabteilung oder die Person in der eigenen Abteilung, die dafür bekanntermaßen zuständig ist, etwa die Team- oder Schichtleitung.
2) Pflicht zum Nachweis
Dauert die Arbeitsunfähigkeit länger als drei Kalendertage, ist eine ärztliche Bescheinigung, die AU-Bescheinigung, vorzulegen, und auch dies möglichst schnell, spätestens aber an dem darauffolgenden Arbeitstag. Der Tag der Erkrankung zählt mit und ist damit der erste Tag. Vorzulegen ist die AU-Bescheinigung folglich am vierten Kalendertag, wenn es sich dabei um einen Arbeitstag handelt. Beginnt die Arbeitsunfähigkeit am Donnerstag, ist sie am Montag vorzulegen, wenn der Sonntag in dem Betrieb arbeitsfrei ist.
Achtung: Anders ist es, wenn in dem Betrieb durchgehend an jedem Kalendertag gearbeitet wird (z. B. Krankenhaus), dann ist die Bescheinigung, wenn die Arbeitsunfähigkeit an einem Donnerstag begann, schon am Sonntag beim Arbeitgeber einzureichen, der Tag des Zugangs ist entscheidend.
Diese Fristen beschreiben den Regelfall, das Gesetz selbst sieht es aber ausdrücklich vor, dass der Arbeitgeber die AU-Bescheinigung schon früher verlangt, z. B. am ersten Tag, so etwas kann im eigenen Arbeitsvertrag vereinbart sein, es kann sich auch aus einem Tarifvertrag ergeben.
Man sollte also als Arbeitnehmer nicht voreilig darauf beharren, die ersten drei Tage ohne ärztlichen Nachweis der Arbeit fernbleiben zu dürfen.
Seit 01.01.2023 wird die AU-Bescheinigung bei gesetzlich krankenversicherten Arbeitnehmern von der Krankenkasse in elektronischer Form zum Abruf bereitgestellt, damit soll das fortlaufende Übersenden von "gelben Scheinen" auf Papier beendet werden. Der Arbeitnehmer muss bei seinem Arbeitgeber also keine Bescheinigung mehr abgeben, es bleibt aber bei der Pflicht zur Mitteilung der Arbeitsunfähigkeit, und der Pflicht, sich bei längeren Erkrankungen spätestens am vierten Kalendertag einem Arzt vorzustellen, damit das Bestehen und die voraussichtliche Dauer der Arbeitsunfähigkeit festgestellt werden kann - wie gewohnt.
3) Krankheitsbedingte Kündigung
Wer als Arbeitnehmer seine Arbeitsunfähigkeit immer rechtzeitig mitgeteilt und nachgewiesen hat, läuft trotzdem Gefahr, irgendwann Nachteile zu bekommen.
Der Arbeitgeber könnte die Erkrankung nämlich zum Anlass nehmen, eine Kündigung auszusprechen (§ 1 Abs. 2 Kündigungsschutzgesetz). Anders als viele Arbeitnehmer glauben, besteht während einer Krankheit kein Kündigungsverbot, im Gegenteil, die Kündigung kann explizit mit der Arbeitsunfähigkeit begründet werden.
Eine Kündigung wegen Krankheit ist eine personenbedingte Kündigung. Bei ihr wird dem Arbeitnehmer kein Fehlverhalten vorgeworfen, kein arbeitsvertragswidriges Verhalten, es ist deshalb auch keine vorherige Abmahnung erforderlich. Grundlage der personenbedingten Kündigung ist die Annahme, der Arbeitnehmer werde seine Arbeitsleistung, zu der er sich im Arbeitsvertrag verpflichtet hat, voraussichtlich auch in Zukunft nicht oder nicht konstant erbringen können.
Auslöser können sowohl eine langanhaltende Erkrankung als auch häufige Kurzerkrankungen sein. Das Fehlen des Arbeitnehmers muss zu einer erheblichen Beeinträchtigung betrieblicher Interessen führen, in einem Maße, das für den Arbeitgeber auf Dauer nicht mehr hinzunehmen ist.
Dabei hilft es dem Arbeitnehmer bei einer Dauererkrankung nicht, dass er bereits Krankengeld von der Krankenkasse bezieht, der Arbeitgeber also aktuell keine Entgeltfortzahlung mehr leisten muss. Wenn absehbar ist, dass ein Arbeitnehmer auf Dauer arbeitsunfähig ist, besteht eigentlich immer eine erhebliche Beeinträchtigung betrieblicher Interessen, die den Arbeitgeber zu einer Kündigung berechtigt, ihm ist nicht zuzumuten, ein nicht gelebtes Arbeitsverhältnis fortzusetzen.
Da keiner in die Zukunft schauen kann, ließe sich prinzipiell auch bei einer Dauererkrankung einwenden, dass diese vielleicht doch eines Tages verschwinden wird. Aber auch darauf muss sich der Arbeitgeber nicht einlassen: wenn eine Genesung in den nächsten 24 Monaten ungewiss ist, reicht das für eine Kündigung.
Der Arbeitnehmer kann sich auch nicht auf den Standpunkt zurückziehen, der Arbeitgeber könne all das doch überhaupt nicht beurteilen, er sei schließlich nicht verpflichtet, Details der Erkrankung zu offenbaren. Letzteres ist richtig, soweit es um die Anzeige und den Nachweis der Arbeitsunfähigkeit geht - siehe oben. Gerade deshalb aber darf der Arbeitgeber erst einmal behaupten, es sei auch in Zukunft keine Besserung zu erwarten, das zeigten bereits die bisherigen Fehlzeiten.
Es ist dann Aufgabe des Arbeitnehmers, konkret darzulegen, weshalb diese Negativprognose nicht gerechtfertigt ist. Er kann sich dabei auf die Einschätzung seiner Ärzte berufen, muss diese dann aber von der ärztlichen Schweigepflicht entbinden, damit sie vor dem Arbeitsgericht aussagen können.
Bei häufigen Kurzerkrankungen, bei denen der Arbeitnehmer nach der Genesung stets an seinen Arbeitsplatz zurückkehrt und seine Arbeitsleistung erbringt, sind es meist die Kosten der Entgeltfortzahlung, die den Arbeitgeber zur Kündigung veranlassen. Auch hier kann er sich im Kündigungsschutzprozess zunächst darauf beschränken, auf die Fehlzeiten in der Vergangenheit zu verweisen, der Arbeitnehmer muss dann kontern, etwa indem er auf die positive Prognose seiner Ärzte verweist.
Bei Kurzerkrankungen wird oft argumentiert, man habe Pech gehabt, sei erst an x, dann y und schließlich z erkrankt, jetzt aber sei "alles gut". Auch das kann zum Problem werden: selbst wenn sich nachweisen ließe, die Erkrankungen seien jeweils ausgeheilt, könnte der Eindruck einer allgemeinen Krankheitsanfälligkeit entstehen, bei der auch in Zukunft mit ähnlichen, häufig wechselnden Erkrankungen zu rechnen sei (Bundesarbeitsgericht, 20.11.2014, 2 AZR 755/13).
Krankheitsbedingte Kündigungen sind juristisch anspruchsvoll, für beide Seiten, weil es dabei neben medizinischen Fragen auch auf das prozessual richtige Taktieren ankommt, es kann z. B. ein Fehler sein, gleich alle Karten aufzudecken. Deshalb sollten Sie sich rechtzeitig beraten lassen.
4) Entgeltfortzahlung durch den Arbeitgeber
Wer außerstande ist, seine Arbeitsleistung zu erbringen, ist dazu auch nicht verpflichtet (§ 275 Abs. 1 BGB). Allerdings entfällt dabei zugleich der Anspruch auf die Gegenleistung, das vom Arbeitgeber zu zahlende Arbeitsentgelt (§ 326 Abs. 1 BGB). Ein erkrankter Arbeitnehmer benötigt immer eine besondere Anspruchsgrundlage, um während des eigenen Nichtarbeitens weiterhin das übliche Entgelt verlangen zu können, diese findet sich z. B. im Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG).
Die Grundnorm ist § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG, danach muss eine Krankheit zu einer Arbeitsunfähigkeit führen, die es dem betreffenden Arbeitnehmer unmöglich macht, die nach seinem individuellen Arbeitsvertrag geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen. Eine Suchterkrankung kann eine Krankheit sein, eine Schwangerschaft ist es z. B. nicht, wobei dies schon wieder anders aussieht, wenn die Schwangerschaft zu Beschwerden führt, die über das gewöhnliche Maß hinausgehen.
Krank ist ebenfalls nicht, wer seinen Hausarzt für eine Impfung oder einen "Gesundheitscheck" aufsucht. Wer infolge einer Infektion ansteckend ist, etwa bei SARS-CoV ("Corona"), und keine Symptome hat, muss vielleicht zuhause bleiben, ist aber nicht krank, in diesem speziellen Fall kann ein Anspruch nach § 616 BGB bestehen.
Wer aufgrund eines Sportunfalls eine Fußverletzung hat, ist vielleicht daran gehindert, zum Arbeitsplatz zu fahren, kann seine Arbeitsleistung aber möglicherweise erbringen. Auch hier könnte es an einem Anspruch auf Entgeltfortzahlung fehlen, obwohl die Fußverletzung als solche eine Krankheit ist.
Die Arbeitsunfähigkeit darf auch nicht auf einem Verschulden des Arbeitnehmers beruhen. Selbst ein Unfall während der Arbeit kann selbst verschuldet sein, etwa wegen eines Verstoßes gegen Unfallverhütungsvorschriften oder weil man die zur Verfügung gestellte Sicherheitskleidung nicht getragen hat. Eine Verletzung durch einen Verkehrsunfall kann selbstverschuldet sein, bei Sportunfällen kommt es auf den Einzelfall an: nicht die abstrakte Gefährlichkeit der Sportart (z. B. Bergsteigen) ist entscheidend, sondern ob in dem konkreten Fall die Grenzen der individuellen Leistungsfähigkeit leichtsinnig überschritten wurden.
Selbst wenn alle Voraussetzungen des Anspruchs auf Entgeltfortzahlung erfüllt sind, gibt es weitere Beschränkungen zu beachten, schon am Anfang und im weiteren Verlauf:
Wer gestern seinen ersten Arbeitstag hatte, und heute krank ist, hat noch keinen Anspruch, dieser entsteht vielmehr erst nach einer Wartezeit von vier Wochen. Wer in dieser Zeit arbeitsunfähig wird und über den Ablauf dieser Wartezeit hinaus bleibt, erwirbt den Anspruch mit Ende der Wartezeit, aber nicht rückwirkend.
Der Anspruch besteht grundsätzlich für die Dauer von sechs Wochen bzw. 42 Kalendertage. Problematisch sind die Fälle, in denen der Arbeitnehmer wegen derselben Krankheit erneut arbeitsunfähig wird. Nach § 3 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 EFZG muss seit Beginn der ersten Arbeitsunfähigkeit eine Frist von sechs Monaten abgelaufen sein, innerhalb derer man nicht wegen derselben Krankheit arbeitsunfähig gewesen sein darf, danach entsteht trotz gleicher Krankheit ein neuer Anspruch.
Anders sieht es aus, wenn man in dieser sechsmonatigen Sperrfrist wegen einer anderen Krankheit ein weiteres Mal arbeitsunfähig wird. In diesem Fall entsteht sofort mit Beginn der zweiten Erkrankung ein neuer Anspruch auf Entgeltfortzahlung. Bestreitet der Arbeitgeber das Vorliegen einer anderen Krankheit, muss sich der Arbeitnehmer von seinem Arzt bescheinigen lassen, dass es sich bei der zweiten Erkrankung nicht um eine Fortsetzungserkrankung handelt.
Wieder anders ist es, wenn man sich während eines laufenden sechswöchigen Entgeltfortzahlungszeitraums eine zweite Erkrankung zuzieht, z. B. zusätzlich zu einem Rückenleiden eine schwere Erkältung, die zu einer weiteren Arbeitsunfähigkeit von zwei Wochen führt. Man spricht hier von einer "Einheit des Verhinderungsfalls", nach sechs Wochen endet die Entgeltfortzahlung, auch wenn die Erkältung weiter anhält; hier springt dann die Krankenkasse ein.
5) Krankengeld von der Krankenkasse
Es wurde soeben schon angesprochen: sobald die Pflicht des Arbeitgebers endet, kann sich der Arbeitnehmer an seine Krankenkasse wenden und Krankengeld beantragen.
Der Anspruch auf Krankengeld entsteht im Grunde schon mit Beginn der Arbeitsunfähigkeit (§ 44 SGB V: "wenn die Krankheit sie arbeitsunfähig macht"), er ruht allerdings, solange der erkrankte Arbeitnehmer gegenüber seinem Arbeitgeber einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung hat (§ 49 Abs. 1 Nr. 1 SGB V).
Das Krankengeld hat eine Auffangfunktion: wann immer der Arbeitgeber keine Entgeltfortzahlung schuldet, sei es weil das Arbeitsverhältnis noch keine vier Wochen besteht, oder weil der Arbeitnehmer vor Ablauf der sechsmonatigen Sperrfrist erneut wegen derselben Krankheit arbeitsunfähig wird.
Krankengeld wird grundsätzlich ohne zeitliche Begrenzung gewährt, wegen derselben Krankheit jedoch höchstens 78 Wochen. Nach Ablauf von drei Jahren ist eine Neubewilligung für erneut bis zu eineinhalb Jahre möglich, selbst wenn es sich wieder um dieselbe Krankheit handelt (§ 48 SGB V).
Anders als bei der Entgeltfortzahlung, die der Arbeitgeber schuldet, kann Krankengeld sogar in Fällen beansprucht werden, in denen man als Arbeitnehmer nicht selbst krank ist, sondern das eigene, betreuungsbedürftige Kind. Für jedes Kind können pro Kalenderjahr zehn Arbeitstage in Anspruch genommen werden, von alleinerziehenden Versicherten sogar bis zu 20 Arbeitstage, bei mehreren Kindern liegt die Grenze bei insgesamt 25 bzw. 50 Arbeitstagen (§ 45 SGB V).
Rechtsanwalt Lars Finke, LL.M., Fachanwalt für Arbeitsrecht, Mülheimer Str. 85, 47058 Duisburg (Stadtteil Duissern)