Fragerecht des Arbeitgebers
Wer als Arbeitgeber beabsichtigt, einen neuen Arbeitnehmer einzustellen, kennt den Bewerber in der Regel nicht. Er möchte sich ein Bild von ihm machen, bevor er sich entscheidet, er möchte wissen, wen er sich "ins Haus" holt. Auf der anderen Seite möchte der Bewerber seine Privatsphäre schützen, oft hat er Sorge, abgelehnt zu werden, wenn er eine Frage des Arbeitgebers wahrheitsgemäß beantwortet. Es ist nicht immer leicht, sich in diesem Spannungsverhältnis zurechtzufinden.
1) Offenbarungspflicht des Arbeitnehmers
Noch bevor der Arbeitgeber die erste Frage stellt, könnte sich der Bewerber fragen, ob er womöglich von sich aus auf bestimmte "Knackpunkte" hinweisen muss, zum Beispiel eine frühere strafrechtliche Verurteilung, ein laufendes Ermittlungsverfahren oder eine bestehende Alkoholabhängigkeit.
Die Arbeitsgerichte sehen eine Pflicht zur selbständigen Offenbarung nur in seltenen Ausnahmefällen, nämlich wenn die Erfüllung der arbeitsvertraglichen Leistungspflicht oder die Eignung für den in Aussicht genommenen Arbeitsplatz von vornherein in Frage gestellt ist (Bundesarbeitsgericht, 20.03.2014, 2 AZR 1071/12).
Eine frühere Verurteilung muss selbst bei einer Bewerbung im Justizvollzug nicht offenbart werden, wenn sie im Bundeszentralregister bereits getilgt oder zumindest tilgungsreif ist. Anders ist es, wenn der Bewerber demnächst eine Haftstrafe antreten muss, und deshalb seine Arbeit nicht pünktlich aufnehmen kann.
Bei Erkrankungen muss ebenfalls differenziert werden: Wer als Bewerber weiß, dass er aufgrund einer Krankheit nicht überall eingesetzt werden kann, tatsächlich oder rechtlich, muss dies von sich aus offenbaren. Beispiele sind die Alkoholabhängigkeit eines Kraftfahrers, oder Erkrankungen mit Infektionsrisiko, bei denen teilweise Beschäftigungsverbote in Gaststätten oder beim Umgang mit Lebensmitteln bestehen (§ 42 Infektionsschutzgesetz).
Anders ist es bei Krankheiten, die sich nur hin und wieder auf die Arbeitsfähigkeit auswirken, etwa bei bestimmten Tätigkeiten oder in belastenden Arbeitsumgebungen: so hielt es zum Beispiel das Landesarbeitsgericht Hamm für nicht erforderlich, dass ein Vermessungstechniker auf sein Raynaud-Syndrom hinweise, solange es nur in den Wintermonaten und bei Außeneinsätzen in der Kälte zu Durchblutungsstörungen in den Händen führe (LAG Hamm, 09.11.2006, 17 Sa 172/06).
Eine Schwangerschaft muss von einer Bewerberin ebenfalls nicht offenbart werden. Selbst dann nicht, wenn es sich bei der Stelle um eine Schwangerschaftsvertretung für eine im Mutterschutz befindliche Kollegin handelt, und die Bewerberin aufgrund ihrer eigenen Schwangerschaft während eines wesentlichen Teils ihres befristeten Arbeitsverhältnisses nicht arbeiten kann. Das LAG Köln verwies auf das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG), das eine Benachteiligung von Stellenbewerbern aufgrund ihres Geschlechts, einer bestehenden Schwangerschaft oder wegen Mutterschaft verhindern wolle (LAG Köln, 11.10.2012, 6 Sa 641/12).
2) Fragerecht des Arbeitgebers
Wenn es heißt, ein Arbeitgeber "dürfe" bestimmte Fragen nicht stellen, so stimmt das nicht ganz, es gibt keine "verbotenen" Fragen.
Dennoch sollte ein Arbeitgeber sehr genau überlegen, ob die jeweilige Frage wirklich erforderlich ist, sei es in Einstellungsfragebögen oder Bewerbungsgesprächen.
Die Fragen können nämlich zu verschiedenen Rechten des Bewerbers führen, bis hin zum Anspruch auf Schadensersatz aufgrund vermuteter Diskriminierung.
Ein Arbeitgeber ist auf der sicheren Seite, solange er sich auf Fragen beschränkt, die für den Arbeitsplatz und die zu verrichtende Tätigkeit von Bedeutung sind.
Riskant wird es, wenn die Fragen auf Merkmale abzielen, die kein Auswahlkriterium sein sollen, wie zum Beispiel "Rasse", Geschlecht oder Behinderung (§ 1 AGG).
Stellt er Fragen, die eine Benachteiligung zur Folge haben können, müssen sie nicht wahrheitsgemäß beantwortet werden, einige sprechen hier von einem "Recht auf Lüge". Antwortet eine Bewerberin auf die Frage, ob sie schwanger sei oder Kinder plane, wahrheitswidrig mit "Nein", berechtigt das den Arbeitgeber weder zu einer Anfechtung des Arbeitsvertrages wegen Täuschung noch zu einer verhaltensbedingten oder personenbedingten Kündigung.
a) Beruflicher Werdegang
Fragen nach den bisherigen Tätigkeiten, den Erwartungen an den neuen Arbeitsplatz und den eigenen Plänen für die weitere berufliche Entwicklung sind problemlos möglich.
Anders ist es bei der Frage, ob der Bewerber einer Gewerkschaft angehöre. Es kann für die richtige Eingruppierung wichtig sein, etwa wenn der Arbeitgeber selbst tarifgebunden und damit verpflichtet ist, den mit einer bestimmten Gewerkschaft ausgehandelten Tariflohn zu zahlen. Danach muss er aber nicht schon im Bewerbungsgespräch fragen, er kann es nach Abschluss des Arbeitsvertrages tun, bei der Erstellung der ersten Entgeltabrechnung.
b) Gesundheit und Behinderung
Fragen nach dem aktuellen Gesundheitszustand und akuten Erkrankungen sind zulässig, soweit sie die Einsatzfähigkeit für den vorgesehenen Arbeitsplatz betreffen.
Problematisch sind Fragen nach wiederkehrenden oder chronischen Erkrankungen, weil diese auf eine bestehende Behinderung hindeuten könnten, nach der ein Arbeitgeber im Auswahlverfahren (§ 6 AGG: "Bewerber") und bis zum Einsetzen des besonderen Kündigungsschutzes für Schwerbehinderte (§ 168 SGB IX) noch nicht fragen darf.
Der Europäische Gerichtshof hatte zunächst keine Gleichsetzung der Begriffe "Krankheit" und "Behinderung" vornehmen wollen, und die ihm vorgelegte Rechtsfrage verneint, ob in einer krankheitsbedingten Kündigung eine unzulässige behinderungsbedingte Kündigung zu sehen sein könnte (EuGH, 11.07.2006, C-13/05).
Das hat sich geändert, inzwischen kann für den EuGH jede "ärztlich diagnostizierte Krankheit", die eine "volle und wirksame Teilhabe" am Berufsleben dauerhaft beeinträchtige, als "Behinderung" im Sinne der Gleichbehandlungsrichtlinie 2000/78/EG verstanden werden (EuGH, 11.04.2013, C-335/11).
Das Bundesarbeitsgericht ist dem gefolgt: eine "Behinderung" im Sinne des § 1 AGG könne vorliegen, wenn die "körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit langfristig eingeschränkt", und dadurch die Teilhabe am Berufsleben beeinträchtigt sei. Auf einen bestimmten Grad der Behinderung (GdB) komme es nicht an, es verweist auf das Urteil des EuGH vom 11.04.2023 und betont, das Verständnis des Begriffs "Behinderung" sei nicht statisch (BAG, 19.12.2013, 6 AZR 190/12).
Wer als Arbeitgeber Personalfragebögen verwendet, sollte diese überarbeiten, sofern dort pauschal nach "Krankheit" oder "Behinderung" gefragt wird. Die Frage nach einer akuten Erkrankung ist wie gesagt zulässig, sofern sie der vorgesehenen Tätigkeit entgegensteht - jede darüber hinausgehende Frage, die auf eine gewisse Krankheitsanfälligkeit, eine chronische Erkrankung oder auf eine Behinderung abzielt, sollte gestrichen werden.
c) Bisheriges Gehalt und finanzielle Situation
Einige Bewerber nennen schon von sich aus ihr bisheriges Gehalt und fordern es als Mindestvergütung für die neue Stelle.
Andere Bewerber würden solche Angaben gerne vermeiden, weil sie Sorge haben, dass ihnen der neue Arbeitgeber dann nur geringfügig mehr bieten wird. Einige waren womöglich längere Zeit als "Minijobber" beschäftigt oder arbeitslos, und haben schlicht keine Vorstellung, was sie fordern könnten.
Arbeitsrechtler sind sich weitgehend einig, dass die Frage nach der bisherigen Vergütung nur dann gestellt werden sollte, wenn sie etwas über die Eignung des Bewerbers aussagt, bezogen auf die zu besetzende Stelle. Ein weiterer Fall ist der Mindestlohn: war ein Bewerber ein Jahr oder länger arbeitslos (§ 18 SGB III: "langzeitarbeitslos"), ist ein Arbeitgeber in den ersten sechs Monaten nicht verpflichtet, den Mindestlohn zu zahlen (§ 22 MiLoG), folglich darf er nach längerer Arbeitslosigkeit fragen.
Soll ein Bewerber geringfügig beschäftigt werden, darf er bei einem Mindestlohn von zurzeit 12 € nicht mehr als 520 € im Monat verdienen. Diese Grenze kann überschritten sein, wenn er noch andere "Minijobs" hat und seine Einkünfte zusammengerechnet werden (§ 8 SGB IV). Der vermeintliche "Minijob" ist dann sozialversicherungspflichtig, der Arbeitgeber muss womöglich rückwirkend Beiträge abführen, und ist deshalb berechtigt, schon am Anfang nach weiteren Beschäftigungen zu fragen.
Den Bewerber nach seinen Vermögensverhältnissen zu fragen, ist üblich, wenn es um eine besondere Vertrauensposition geht. Gleiches gilt für die Frage nach Lohnpfändungen und Lohnabtretungen, letztere können zum Beispiel in Kleinbetrieben zu einem erheblichen Arbeitsaufwand führen.
Rechtsanwalt Lars Finke, LL.M., Fachanwalt für Arbeitsrecht, Mülheimer Str. 85, 47058 Duisburg (Stadtteil Duissern)